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Anna Clyne: “Within Her Arms” für Streichorchester / Alma Mahler: Fünf Lieder, Bearbeitung für Singstimme und Orchester von Jorma Panula / Pjotr Iljitsch Tschaikowski: Sinfonie Nr. 5 e-Moll, op. 64

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Neulich war ich zum ersten Mal seit langem wieder an einem Konzert mit klassischer Musik – gleich hier um die Ecke, sozusagen.Da ich nicht wusste, ob und welche Kleidungsvorschriften befolgt werden, suchte ich meinen zweitbesten Anzug heraus, eines meiner zweitbesten Hemden und eine simple Krawatte. Es zeigte sich in der Folge, dass ich einer der wenigen Männer mit Krawatte war (während ich durchaus Damen gesehen habe mit eleganter, wenn auch einfach gehaltener Kleidung – die große Abendrobe war nicht dabei (wir waren ja mitten in der Woche), aber hie und da schon mal ein dezent getragenes Collier aus Naturperlen). Vielleicht gehe ich nächstes Mal auch in Jeans …

Das Programm des Abends kann man in Kurzform dem Titel entnehmen. Hier ein paar Impressionen:

Anna Clyne: “Within Her Arms” für Streichorchester

Das jüngste Stück des Abends. (Wie überhaupt der Abend in rückwärts zeigender Chronologie der Stücke ausgerichtet war.) Anna Clyne hat es 2009 geschrieben, als sie vom Tod ihrer Mutter erfuhr, und als Titel steht auf der Partitur ein Zitat eines buddhistischen Mönchs. Tatsächlich ist es ein sehr ruhiges Stück, das mich beim Zuhören immer wieder an das Fließen eines Bachs erinnert hat. Eine gelungene Einstimmung in den Abend.

Alma Mahler: Fünf Lieder, Bearbeitung für Singstimme und Orchester von Jorma Panula

Die nachmalige Gattin von Gustav Mahler war selber sehr musikalisch, sie spielte Klavier, sang (natürlich Wagner) und komponierte auch selber Lieder zu Klavierbegleitung. Als sie allerdings dann den Wiener Hofoperndirektor Mahler heiratete, stellte ihr dieser die Bedingung, dass sie gänzlich seiner Musik leben solle. Mahler nannte die 19 Jahre jüngere Frau mein Kamerad, ein tapferer in allem Geistigen teilnehmender treuer Genosse, und ich frage mich gerade, ob er sich darüber im Klaren war, was er mit solchen Formulierungen über sich selber verriet. Er stellte ihr also die Bedingung, von nun an meine Musik als die deine anzusehen, ihm Eheweib zu sein und nicht College. Leider hielt sich Alma daran und komponierte kaum noch. Soll man darüber erstaunt sein, dass sie keine 10 Jahre nach der Eheschließung eine Affäre mit Walter Gropius begann? Gustav Mahler stieß jedenfalls beim Versuch, die Frau zurück zu gewinnen auf diese frühen Lieder von ihr, war begeistert und ließ sie veröffentlichen.

Gehört habe ich diese Lieder in der Bearbeitung für Orchester des finnischen Dirigenten Jorma Panula. Es ist schwierig für mich, zu beurteilen, wie weit die etwas dickliche Sauce der Orchestrierung, die doch sehr an Gustav Mahler erinnerte, etwas Schöneres zugedeckt hat.

Die vertonten Gedichte übrigens stammen von Gustav Dehmel, Otto Erich Hartleben, Otto Julius Bierbaum, Rainer Maria Rilke und Heinrich Heine, sind also dem üblichen Fundus des zu Beginn des 20. Jahrhunderts als ‚gute Literatur‘ Empfundenen entnommen.

Pjotr Iljitsch Tschaikowski: Sinfonie Nr. 5 e-Moll, op. 64

Romantisch-russische Musik at its best. Der Satz beginnt elegisch-melancholisch, um sich im Verlauf dann in rasante fröhlich-kämpferische Tempi und Melodien zu steigern, bis hin zu Tutti, bei denen die Geiger:innen wild herumfuchteln und das Holz durch sehr viel Blech verstärkt wird. Ein durchaus aufwühlendes Musikerlebnis, nach dessen Ende nach Hause zu gehen einem schwer fiel.

Die Dirigentin

Der Abend wurde dirigiert von der jungen panamaisch-amerikanisch-farbigen Dirigentin Kalena Bowell. Sie hatte das Orchester jederzeit im Griff (nicht, dass es widerspenstig gewesen wäre, es folgte ihr mit offensichtlicher Spielfreude). Und es ist vielleicht eher der Ausdruck meines persönlichen Geschmacks als ihres Könnens, wenn ich den Eindruck hatte, dass sie erst bei Tschaikowski ganz zu Hochform auflief. Jedenfalls würde ich sie gern wieder einmal hören.

Die Sängerin

Die Lieder wurden von der US-amerikanischen Sängerin Sarah Duchovnay vorgetragen. Sie singt auch Oper und hat sich da offenbar und leider eine sehr merkwürdige Gestik und Mimik angewöhnt, die mich irgendwie an Minnie Mouse erinnerte. Jedenfalls ist so etwas beim Lied und in einem doch recht kleinen Saal irgendwie unangebracht und wirkt komisch. Wenn man allerdings die Augen schloss und nur zuhörte, gab es nichts auszusetzen. Duchovnay verfügt über einen kräftigen, vollen Sopran, ohne die blechernen Obertöne, die man oft wahrnimmt, wenn junge Frauen sich zu früh an solchen Dingen wie Wagner-Opern ausprobieren und nur die Stimme ruinieren (wie es, nebenbei, nach ihren eigenen Aussagen auch Alma Mahler passiert ist).

Das Orchester

Je nach Stück in verschiedenen Besetzungen agierend, aber immer auf der Höhe. Es kann, vor allem im eigenen Saal, auch mit größeren und berühmteren jederzeit mithalten. Der riesige Schlussapplaus war jedenfalls für beide, Dirigentin wie Orchester, völlig verdient.

Und sonst?

Ein sehr gelungener Wiedereinstieg in eine neue Konzertsaison – nicht nur für das Orchester, auch für mich. Die Akustik des Konzertsaals ist gut. Die Verpflegung kommt natürlich nicht an das Angebot des viel größeren Opernhauses in Zürich heran; dafür sind die Verkäufer:innen weniger gestresst und damit freundlicher. Das Bier stammt vom neuen Lokalmatador – einer Brauerei, die vor zehn Jahren noch ein Geheimtipp war, unterdessen aber in der ganzen Schweiz bekannt ist. Obwohl ich in Erinnerung habe, dass es als Geheimtipp noch besser schmeckte, ist es doch immer noch der Konkurrenz der ganz großen Brauereien überlegen.

Mein persönliches Highlight?

Jener Moment am Ende des allerletzten Liedes, als Kalena Bowel den Geigen die allerletzte Pointe entlockte, es auch funktionierte und für eine Sekunde ein zufriedenes und glückliches Grinsen über ihr Gesicht zuckte. So etwas kommt eben dann doch nur „live“ wirklich herüber.